Als deutscher Jurist in Sendai

Prof. Dieter Pluhm

Welche Gründe könnte es geben, um als deutscher Jurist ein paar Jahre in Japan zu verbringen? Wenn überhaupt, dann doch wohl nur, um (mit Einschränkungen) als Rechtsanwalt, oder um als Rechtsberater in einer Firma oder Organisation tätig zu sein - könnte man annehmen. Aus eigener Erfahrung möchte ich eine andere - lohnende - Möglichkeit vorstellen, und zwar die Tätigkeit als Lehrkraft für Deutsches Recht (und Europarecht) an der Juristischen Fakultät (School of Law) der Tohoku Universität in Sendai.

Zunächst zur Berufstätigkeit selbst:

Was wird erwartet? Kurz gesagt, 4-5 Doppelstunden (zu je 90 Minuten) pro Woche Unterricht über Deutsches Recht (und ggf. Europarecht), außerdem Beratung und Unterstützung der Studierenden und ggf. von Kolleginnen und Kollegen bei Fragen zum deutschen Hochschulsystem sowie im Zusammenhang mit Stipendienangelegenheiten bei an einem Studium in Deutschland interessierten Studierenden.

Weitere Vorgaben betreffend den konkreten Inhalt der Lehrveranstaltungen macht die Fakultät nicht, d.h. man ist in der inhaltlichen Ausgestaltung der eigenen Veranstaltungen weitgehend frei und kann Schwerpunkte entsprechend den eigenen Interessen setzen. Da aber nicht jedes Thema bei den Studierenden gleichermaßen auf Interesse stößt, habe ich, seitdem ich im April 1996 meine hiesige Lehrtätigkeit begonnen habe, immer wieder auch neue Themen angeboten, um möglichst viele Studentinnen und Studenten mit einzelnen Bereichen des Deutschen Rechts aber auch mit Grundzügen des Europarechts bekannt zu machen. Das hatte zur Folge, daß ich im Laufe der Zeit Vorlesungen und Seminare z.B. zum Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht, BGB, Europarecht, aber auch zur Rechtsgeschichte, zur Justiz in Deutschland, zum Umweltrecht, Baurecht usw. gehalten habe und außerdem auch Konversationskurse für diejenigen abgeboten habe, die ihre Deutschkenntnisse verbessern wollen.

Die Teilnehmerzahlen sind je nach dem Sachgebiet aber auch bei demselben Thema von Jahr zu Jahr verschieden. Insgesamt nehmen an meinen zur Zeit 5 Veranstaltungen pro Woche (2 Vorlesungen, 2 Seminare, 1 Konversationskurs) etwa 120 Personen regelmäßig teil.

Zu Beginn meiner Tätigkeit waren die Teilnehmerzahlen deutlich niedriger. Mit zunehmenden Japanischkenntnissen und deren Einsatz insbesondere in den Vorlesungen sowie mit dem verstärkten Angebot wechselnder Themen und der Vermeidung von zeitlichen Überschneidungen meiner Vorlesungen mit denen von Kolleginnen und Kollegen zu zentralen Themen des japanischen Rechts besserte sich der Besuch der Veranstaltungen erheblich.

Meine Veranstaltungen bereite ich grundsätzlich alleine vor und führe sie auch alleine durch. In meinem ersten Jahr an der Fakultät hat mir allerdings ein Doktorand in zwei Seminaren als Dolmetscher zur Seite gestanden, später hat teilweise ein Student bei Vorlesungen geholfen, gelegentlich haben eine Kollegin und ein Kollege an sie interessierenden Seminaren teilgenommen und bis heute haben eine Kollegin bzw. ein Kollege jeweils am Ende der Vorlesungen meine deutsche Fassung des Abschlußtests ins Japanische übersetzt. Im übrigen kann ich mich wegen einzelner Fragen stets an Kolleginnen und Kollegen wenden, die mir auch immer geholfen haben.

Zum Leben in Sendai allgemein:

Das Leben hier ist meiner Frau und mir von Anfang an leicht gefallen. Das liegt nicht zuletzt an der Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft, die wir innerhalb und außerhalb der Fakultät erfahren haben.

So gibt es z.B. in Sendai, einer Stadt von ca. 1 Million Einwohnern, auch etwa 25-30 Deutsche. Manche von ihnen leben dauerhaft hier, die meisten jedoch 6 Monate bis 3 Jahre. Wir haben zu einigen von ihnen Kontakt und treffen uns auch in 1-2-monatigem Abstand zu einem "Stammtisch" in einer Gaststätte, die von einer Deutschen aus Mainz und ihrem japanischen Ehemann betrieben wird. Dort trifft sich ein kleinerer Kreis von 2-5 Personen außerdem einmal pro Woche.

Im übrigen bietet Sendai für diejenigen, die die Natur lieben, genügend Ausflugsmöglichkeiten. Sowohl das Meer als auch die Berge sind nicht weit entfernt, und im Winter sind die Möglichkeiten für Skibegeisterte gut. Auch wer die traditionelle japanische Kultur näher kennenlernen möchte und nicht unbedingt das Angebot von Kyoto, Nara oder Tokyo erwartet, findet genügend Sehenswertes. Hinzu kommt, daß das Leben hier weit weniger hektisch als in Tokyo verläuft. Kurz gesagt, meine Frau und ich fühlen uns hier wohl.

Wer unbedingt mal schnell Tokyo besuchen möchte, kann das im übrigen problemlos tun. Die Entfernung zur Hauptstadt beträgt zwar ca. 350 km. Mit dem Shinkansen sind die aber in ungefähr 2 Stunden zu bewältigen. Der Haken sind die Kosten. Einmal Sendai-Tokyo und zurück kostet mit dem Shinkansen pro Person ca. 20.000 Yen (zur Zeit etwa 360-370 DM). Bei Ausnutzung einer günstigen Möglichkeit ist für ca. 2000 Yen mehr aber ein Gesamtpaket mit Hin- und Rückfahrt sowie einer Übernachtung in einem Hotel in Tokyo erhältlich.

Finanzen:

Damit bin ich beim letzten, aber dennoch nicht unwesentlichen Punkt, den Finanzen. Die Lebenshaltungskosten in Japan sind zwar höher als die in Deutschland, aber im Durchschnitt doch nicht so hoch, wie man deutschen Zeitungsberichten zufolge annehmen könnte. Hinzu kommt, daß die Sendaier Preise, insbesondere was die Wohnungskosten anbelangt, nicht mit Tokyo oder Osaka vergleichbar sind, sondern deutlich niedriger liegen. So lebe ich mit meiner Frau in einem Haus mit 4 Zimmern und insgesamt ca. 90 m2 Wohnfläche. Die monatliche Kaltmiete beträgt ca. 90.000 Yen. Die Fahrzeit mit dem Bus von der Wohnung zur Fakultät beträgt ca. 20-25 Minuten. Die Uni zahlt einen Zuschuß zur Miete und zu den Fahrtkosten. In einer deutschen Großstadt mit 1 Million Einwohnern müßte ich m.E. auch mit einer Belastung für Wohnung und Fahrtkosten in Höhe von ca. 1/3 des monatlichen Einkommens rechnen.

Wer keine Wohnung auf dem freien Markt suchen möchte, sollte sich übrigens möglichst frühzeitig mit der Fakultät in Verbindung setzen, da es eine begrenzte Zahl öffentlich geförderter Wohnungen gibt, die kleiner, aber auch deutlich billiger als das obige Beispiel sind. Die Fakultätsverwaltung wird sich dann bemühen, eine geeignete Wohnung zu finden.

Ich hatte mich schon frühzeitig für die jetzt bewohnte Wohnung entschieden, in der schon mein Vorgänger gewohnt hat, und deren Preis mir auch im Vergleich mit deutschen Verhältnissen als nicht zu hoch erschien.

Wenn man etwas sucht, findet man in Sendai auch Geschäfte, die deutlich niedrigere Preise z.B. für Lebensmittel verlangen als die aus Berichten in Deutschland bekannten Horropreise. Luxus ist natürlich auch in Japan teuer.

Im übrigen kann man mit dem hiesigen Gehalt als Ehepaar ohne Kinder durchaus angenehm leben und dennoch etwas sparen und den Vorzug des starken Yen bei Überweisungen nach Deutschland nutzen.

Fazit:

Aufgrund eigener Erfahrung kann ich, Interesse an Japan und die Bereitschaft zum Erwerb von Japanischkenntnissen vorausgesetzt, nur empfehlen, einmal näher über eine Tätigkeit als Lehrkraft für Deutsches Recht an der hiesigen Fakultät nachzudenken. Ich habe den Entschluß, mich von meinem Arbeitgeber in Deutschland beurlauben zu lassen und hier zu unterrichten, nie bereut. Das Arbeitsklima und die Lebenverhältnisse sind angenehm, und es lohnt sich, Land und Leute näher kennenzulernen.

Wer noch weitere Einzelheiten wissen möchte, kann sich telefonisch oder schriftlich an mich wenden: